Anfang Juni stellten die CDU- und FDP-Fraktion im Landtag einen gemeinsamen Antrag mit dem Titel „Antisemitismus zielgerichtet bekämpfen“ (Drucksache 17/14069, hier nachzulesen). Der Fachstelle [m²] wurde in diesem Zusammenhang die Möglichkeit eingeräumt, eine schriftliche Stellungnahme zu verfassen, die im Folgenden nachgelesen werden kann:

Stellungnahme der Fachstelle [m²] als Sachverständige im schriftlichen Anhörungsverfahren zum Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP (LT-Drs. 17/14069) „Antisemitismus zielgerichtet bekämpfen“

[Als PDF-Version hier nachlesbar]

Mit ihrem gemeinsamen Antrag zielen die Fraktionen der CDU und der FDP darauf ab, Antisemitismus „zielgerichtet [zu] bekämpfen“. Die antragstellenden Parteien fokussieren insbesondere auf Veränderungen in den Bereichen Polizei und Justiz. Im Folgenden möchten wir zunächst einige globalere Reflexionen zum Problemkomplex „Antisemitismusbekämpfung“ in den Mittelpunkt stellen, bevor wir ausführen, weshalb eine antisemitismuskritische Schwerpunktsetzung in der Ausbildung weiterer (gesellschaftlicher) Instanzen – neben den Bereichen Justiz und Polizei –, insbesondere im Bildungssektor, von besonderer Bedeutung ist.

Wie im Antrag der CDU- und der FDP-Fraktion beschrieben, stellt Antisemitismus in der gesamten bundesrepublikanischen Gesellschaft ein virulentes Problem dar. Antisemitismus ist nicht nur ein Phänomen, das allein in bestimmten Milieus auftritt. Er ist auch nicht ausschließlich ein Problem unter vermeintlichen oder tatsächlichen Muslim*innen, wie dies u. a. in sogenannten rechtspopulistischen Zusammenhängen behauptet und diskursiv mit dem Begriff „importierter Antisemitismus“ besetzt wird. Hierbei wird letztlich wiederkehrend erkennbar, dass nicht das Engagement gegen Antisemitismus politisches Kernanliegen darstellt, sondern ein Abarbeiten am „Feindbild Islam“.

Antisemitismus ist eine reale Bedrohung und Gefahr für Jüdinnen*Juden in Deutschland – und wie nicht zuletzt die vielen antisemitischen Vorfälle im Jahr 2021 aufzeigen: auch in NRW. Antisemitismus bedroht darüber hinaus in vielerlei Hinsicht das Ideal eines respektvollen Zusammenlebens in unserer pluralen Migrationsgesellschaft und steht dabei grundlegenden Werten unserer Demokratie antagonistisch gegenüber. Antisemitismus bedroht die Würde von Menschen und schränkt das Grund- und Menschenrecht der Religionsfreiheit ein. Antisemitismus in all seinen Erscheinungsformen zu problematisieren und ihm entgegenzutreten ist kein „Gebot der Stunde“, sondern eine Daueraufgabe für demokratisch verfasste Gesellschaften. Global betrachtet lassen sich u.E. vier verschiedene Strategien ausmachen, um Antisemitismus zu entgegnen und ihn zu bekämpfen: „Aufklärung, Prävention, Intervention und Repression“ (Salzborn/Kurth 2019: 8). Anzumerken ist, dass diese Strategien auf (zumindest potentielle) Problemträger*innen abzielen und keine Strategien beinhalten, die die spezifischen Bedürfnisse von (potentiell oder tatsächlich von Antisemitismus bedroht und betroffenen) Jüdinnen*Juden berücksichtigen.

Mit Blick auf eine nachhaltige, zielgerichtete und effektive Bekämpfung von Antisemitismus sind alle Mitglieder dieser Gesellschaft gefragt. Insbesondere der politischen Bildung kommt hier jedoch eine besonders wichtige Rolle zu, verspricht sie doch zumindest theoretisch Möglichkeiten, vorhandene antisemitische Wissensbestände zu irritieren und zu kontaminieren. Außerdem hat sie das Potenzial, über einen Wissenstransfer für Antisemitismus, seine Erscheinungsformen, seine Funktionen und seine Logik zu sensibilisieren. Diese Funktionen beinhalten immer auch einen Mehrwert für jene, die antisemitische Wissensbestände aufweisen: Antisemitismus erklärt, gibt Orientierung und Sicherheit, reduziert Komplexität und entlastet. Antisemitismus ist eng auf die Dialektik von Selbst- und (antisemitischem) Gegenbild verwiesen, d. h. Antisemitismus ermöglicht die Aufwertung der eigenen Person und die der imaginierten Eigen„gruppe“ sowie – über gemeinsam geteiltes Wissen – Gemeinschafts- und Zugehörigkeitsgefühle. Antisemitismus ist damit in mehr oder weniger starkem Maße identitätsstiftend/-bildend.

Im Kontext der politischen Bildung wird seit Langem gegen eine bloße Präventionslogik argumentiert und für eine „Logik der Ermöglichung“ gesprochen, wie sie der politischen Bildung immanent ist (vgl. hierzu Becker et al. 2020). Es geht nicht nur darum, etwas zu verhindern, sondern vielmehr darum, „Lernprozesse der Selbst- und Weltaneignung in der Auseinandersetzung mit anderen zu ermöglichen, um Wege zu finden, das Bestehende nicht nur mitzugestalten und zu reproduzieren, sondern individuell und kollektiv handelnd zu verändern“ (Eis et al. 2015:2). Ziel ist die Fähigkeit, eigene (politische) Interessen zu erkennen und in einer demokratischen Weise zu artikulieren, also politische Mündigkeit zu erlangen (vgl. Biskamp/Hößl 2020: 147). Politische Bildung entfaltet insofern (auch im Themenfeld „Antisemitismus“) eine präventive Wirkung, indem sie Lern- und Bildungsprozesse befördert und begleitet, die auf die politische Mündigkeit von Teilnehmenden abzielen – sie ist dabei jedoch nicht nur auf „Prävention“ beschränkt.

Um diese für den Kampf gegen Antisemitismus so signifikanten Lernprozesse effektiv anleiten zu können, bedarf es einer entsprechenden Schulung des pädagogischen Personals. Zur Förderung der Sensibilität insbesondere von Lehrkräften gegenüber real oder potenziell von Antisemitismus betroffenen Schüler*innen, muss auch in NRW der Kampf gegen Antisemitismus in der Lehrer*innenausbildung fest verankert werden, so wie es von Expert*innen schon seit Jahren gefordert wird. In Bezug auf die erste, universitäre Ausbildungsphase angehender Lehrkräfte kann das Land NRW im Rahmen seiner Beteiligung an den Akkreditierungs- und Reakkreditierungsprozessen der von den Universitäten konzeptionierten Studiengänge dafür Sorge tragen, dass die Vielfalt aktueller Ausdrucks- und Erscheinungsformen von Antisemitismus (insb. auch Formen von Umwegkommunikationen; vgl. Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 97) Berücksichtigung findet. In der schulpraktischen Ausbildungsphase ist es darüber hinaus von besonderer Bedeutung, dass angehende Lehrkräfte bzgl. der Frage weitergebildet werden, wie sie konkret auf antisemitische, aber auch z. B. auf rassistische oder LGBTQI*-feindliche und weitere Vorfälle im Schulalltag reagieren können. Bei der Identifikation konkreter Handlungsoptionen im schulischen Umfeld sollte die Expertise der in NRW im Bereich antisemitismuskritischer Bildungsarbeit seit vielen Jahr(zehnt)en tätigen Akteur*innen berücksichtigt werden. Auch im Rahmen der Ausbildung von Sozialarbeiter*innen an Hochschulen für angewandte Wissenschaften sollte gegenüber dem Problem Antisemitismus sensibilisiert werden. Ein Fort- und Weiterbildungsangebot „Antisemitismuskritik“, welches zum aktuellen Zeitpunkt leider nur vereinzelt und regional in sehr unterschiedlichem Maße für Lehrkräfte verfügbar ist, sollte außerdem auf die Mitarbeitenden des schulpsychologischen Dienstes, insbesondere die dort angesiedelten „Angebote Systemberatung Extremismusprävention“ (SystEX) ausgeweitet werden.

Die im vorliegenden Antrag geforderte Verankerung antisemitismuskritischer Inhalte in der Ausbildung in den Bereichen Polizei und Justiz stellt einen weiteren wichtigen Baustein im Kampf gegen Antisemitismus dar. Von Antisemitismus betroffene Jüdinnen*Juden berichten immer wieder davon, dass ihre Antisemitismus-Erfahrungen von Strafverfolgungsbehörden nicht wahr- oder ernstgenommen werden (vgl. z. B. Die Antisemitismusbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen 2020). Entsprechend wichtig ist es, die antisemitismuskritischen Angebote im Bereich der Aus- und Fortbildung für den Öffentlichen Dienst, insbesondere der Polizei und der Justiz, zu überarbeiten und auszuweiten. Dabei ist es bedeutsam, für verschiedene historische wie aktuelle Ausdrucks- und Erscheinungsformen des aktuellen Antisemitismus zu sensibilisieren und keine Engführung des Problems auf die NS-Zeit vorzunehmen, wie sie an einer Stelle des CDU-/FDP-Antrags durchscheint, wenn davon die Rede ist, dass „[a]uch in der Juristenausbildung […] eine Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Unrecht erfolgen [sollte]“ (LT-Drs. 17/14069: 3). Die Beschäftigung mit der NS-Zeit oder auch z. B. der Besuch einer Synagoge ist in verschiedener Hinsicht sinnvoll und nützlich (z.B. um Vergangenheit und Gegenwart verstehbar zu machen und für Nachwirkungen der NS-Verbrechen zu sensibilisieren); dies ist jedoch kein Allheilmittel zur Bekämpfung von Antisemitismus. Die Notwendigkeit, auch in der Richter*innenausbildung für das Problem Antisemitismus in all seinen aktuellen Erscheinungsformen zu sensibilisieren, wird vor dem Hintergrund vergangener Gerichtsurteile – wie dem zum Brandschlag auf die Wuppertaler Synagoge im Jahr 2014 – besonders offensichtlich. Das Wuppertaler Amtsgericht kam 2015 in seiner Urteilsbegründung zu dem Schluss, es habe sich bei dem Brandanschlag auf die Wuppertaler Synagoge nicht um eine antisemitische Tat, sondern vielmehr um „Kritik an israelischer Politik“ gehandelt. Diese absurde Interpretation wurde 2017 durch das Oberlandesgericht Düsseldorf bestätigt. Da der Bund für die Richter*innenausbildung zuständig ist, wäre es wünschenswert, wenn im Rahmen der Bund-Länder-Kommission entsprechende Veränderungsprozesse in diesem Bereich angeregt würden.

Unabhängig davon, ob die Anzahl antisemitischer Straftaten in NRW zu einem bestimmten Zeitpunkt zu- oder abnimmt, muss der Kampf gegen Antisemitismus auch im Bereich der Strafverfolgung als Daueraufgabe verstanden werden. An dieser Stelle sei jedoch darauf hingewiesen, dass – wie im vorliegenden Antrag korrekterweise angemerkt wird – die Anzahl der erfassten antisemitischen Straftaten von 2018 bis 2020 zwar tatsächlich gesunken ist. Für 2021 muss jedoch mit einem starken Anstieg gerechnet werden: Allein in der ersten Jahreshälfte sind in diesem Jahr doppelt so viele antisemitische Straftaten von der Polizei registriert worden (206), als in der ersten Jahreshälfte von 2020 (103) (vgl. LT-Drs. 17/14746; LT-Drs. 17/10480). Der Anstieg erklärt sich zumindest teilweise mit den zahlreichen antisemitischen Vorfällen im Kontext der Proteste gegen die Coronaschutzverordnungen, sowie mit den vielen israelbezogenen antisemitischen Vorkommnissen, die sich insbesondere im Mai 2021 im Rahmen der Auseinandersetzung zwischen Israel und palästinensischen Terrororganisationen ereigneten. Dass auch diese Zahlen nur begrenzt die Realität abbilden, da eine Vielzahl antisemitischer Straftaten gar nicht erst angezeigt wird und somit von einem großen Dunkelfeld ausgegangen werden muss, stellt eine bekannte Problematik dar.

Wichtiges Instrument, um das Dunkelfeld im Bereich Antisemitismus zu erhellen, sind Meldestellen für antisemitische Vorfälle, die Betroffenen eine niedrigschwellige Möglichkeit bieten, antisemitische Vorfälle jeder Art – auch unterhalb der Strafbarkeitsgrenze – zu melden. Um Antisemitismus in NRW „zielgerichtet zu bekämpfen“ muss zunächst erhoben werden, welche Ausdrucks- und Erscheinungsformen von Antisemitismus in NRW in welchem Ausmaß auftreten. Erste wichtige Erkenntnisse, bezogen auf das Stadtgebiet Köln, wird der im Frühjahr 2022 erscheinende Bericht der bei der Fachstelle [m²] angesiedelten Meldestelle für antisemitische Vorfälle der Stadt Köln liefern.

Neben der „passiven“ Annahme von Meldungen recherchiert die Kölner Meldestelle auch aktiv nach antisemitischen Vorfällen im eigenen Einzugsgebiet. Ein bedeutender Teil der bislang in Köln dokumentierten Vorfälle konnte über den Arbeitsbereich „Monitoring“ erhoben werden: hierbei handelt es sich um eine anlassbezogene vor-Ort-Beobachtung beispielsweise von Demonstrationen und Protesten, auf denen antisemitische Äußerungen oder bildliche antisemitische Darstellungen erwartet werden. Nicht ohne Grund gehört der Bereich „Monitoring“ zu einem festen Bestandteil der in der Bundesrepublik bestehenden Meldestellen für antisemitische Vorfälle. Dabei beschränkt sich der Nutzen des Monitorings nicht auf die hier dokumentierten antisemitischen Vorfälle, sondern erlaubt auch eine detaillierte Beobachtung von politisch-weltanschaulich sehr verschiedenen Akteur*innen sowie ihrer Netzwerke und Strukturen. Die hier gewonnenen Erkenntnisse können sich in positiver Weise auf eventuelle Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden auswirken. Zu begrüßen ist in diesem Zusammenhang die Einrichtung einer landesweiten Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS NRW), die ab 2022 mit der Erfassung antisemitischer Vorfälle in NRW beginnen wird und mit der die Kölner Meldestelle schon jetzt eng kooperiert. Es wäre wünschenswert, wenn Polizei- und Justizbehörden von Beginn an in einen engen Austausch mit den Meldestellen in NRW treten würden. Wie in anderen Bundesländern bereits üblich, sollte auch in NRW ein institutionalisierter Abgleich zwischen der polizeilichen PMK-Statistik und den Statistiken der Meldestellen erfolgen.

Angesichts der herausgehobenen Bedeutung des Arbeitsbereichs „Monitoring“ ist es aus Sicht der Kölner Meldestelle nicht nachvollziehbar, wieso die neue RIAS NRW-Stelle die Vorgabe von Seiten des MKFFI bekommen hat, auf diesen zentralen Bereich zu verzichten. In der Beschlussfassung des hier zur Debatte stehenden Antrags wird u. a. gefordert, „bei der Beobachtung der extremistischen Szenen einen Schwerpunkt auf antisemitische Bestrebungen und deren Vernetzungen zu legen“. Um diesen Punkt auch tatsächlich in die Realität umzusetzen, sollten RIAS NRW zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt werden, um ein flächendeckendes Monitoring in NRW zu gewährleisten. Angesichts der regelmäßig durch die städtische Meldestelle in Köln publizierten Monitoringberichte (z.B. hier) wird u.E. auch aus der Zivilgesellschaft perspektivisch die Forderung erhoben werden, auch im restlichen Bundesland einen derartig wichtigen Aspekt im Rahmen der Bekämpfung des Antisemitismus zu integrieren.

Gleichzeitig ist es wichtig zu betonen, dass das Phänomen Antisemitismus keineswegs auf die „extremistischen Szenen“ reduziert werden kann. Um auch den – oft weniger expliziten, aber für Betroffene ebenfalls bedrohlichen – Antisemitismus aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft zu problematisieren und auf die Vielfalt der Ausdrucks- und Erscheinungsformen von Antisemitismus aufmerksam zu machen, kommt der neuen landesweiten Meldestelle RIAS NRW besondere Bedeutung zu. Wie intensiv das Meldeangebot von RIAS NRW in Anspruch genommen wird, hängt dabei maßgeblich von dessen Bekanntheitsgrad ab – und zwar in jüdischen Communities wie in der gesamten Gesellschaft NRWs. Vor diesem Hintergrund wäre es zu begrüßen, wenn die verschiedenen Landesministerien die ihr untergeordneten Stellen – überall dort, wo es in Orientierung an Empfehlungen von RIAS sinnhaft erscheint – dazu aufrufen würden, bei der Bekanntmachung des Meldeangebots innerhalb der Bevölkerung in NRW zu unterstützen und antisemitische Vorfälle jeder Art ab 2022 bei RIAS NRW zu melden. Nachdem in einer Schulmail vom 8. Mai 2018 alle Schulen in NRW aufgefordert wurden, antisemitische Straftaten bei der Polizei anzuzeigen, könnten Schulen in Ergänzung dazu aufgerufen werden, RIAS NRW auch antisemitische Vorfälle zu melden, die unterhalb der Strafbarkeitsgrenze zu verorten sind. Auch eine Meldepflicht antisemitischer Vorfälle für Schulen in NRW, wie sie beispielsweise in Berlin bereits besteht, könnte in diesem Zusammenhang durchaus sinnvoll sein: Eine solche Maßnahme erhöht die Meldebereitschaft und stärkt die Position jener Lehrer*innen, die sich an Schule gegen Antisemitismus engagieren.

Um auch die gesamtgesellschaftliche Anzeigebereitschaft im Bereich antisemitischer Straftaten in NRW zu fördern, sollte jenen, die antisemitische Straftaten anzeigen, gemäß § 68 der Strafprozessordnung im Rahmen des sogenannten „Kleinen Zeugenschutzes“ immer die Möglichkeit eingeräumt werden, anstelle des eigenen Wohnorts die Adresse beispielsweise einer Melde- oder Beratungsstelle als ladungsfähige Adresse anzugeben. Wer befürchtet, der eigene Wohnort könnte der gegnerischen Partei über Akteneinsicht des Anwalts bekannt werden, sieht aus diesem Grund nicht selten von einer Anzeigenstellung ab. Um das Vertrauen der Betroffenen in die Strafverfolgungsbehörden insgesamt zu stärken, könnte es sinnvoll sein, eine extra für antisemitische Straftaten zuständige Person bei den Generalstaatsanwaltschaften einzusetzen. Für jüdische Gemeinden, Meldestellen und von Antisemitismus betroffene Einzelpersonen wäre es sehr vorteilhaft, eine dauerhafte Ansprechperson innerhalb der Strafverfolgungsbehörden zu haben, die fachlich kompetente Unterstützung in Fragen der strafrechtlichen Verfolgung antisemitischer Straftaten erteilt. Das Einsetzen von speziellen Ansprechpersonen in den Generalstaatsanwaltschaften könnte darüber hinaus auch einen Beitrag zur Vereinheitlichung der staatsanwaltschaftlichen Strafverfolgungspraxis in NRW leisten.

Nach wie vor wird Antisemitismus nicht immer konsequent verfolgt. So erstattete die Kölner Meldestelle für antisemitische Vorfälle im Mai 2021 bspw. eine Strafanzeige bzgl. eines auf Video dokumentierten Vorfalls im Rahmen einer anti-israelischen Demonstration in Köln. Auf der Demonstration wurde ein antisemitischer Sprechchor gerufen, der explizit zum Terror gegen den Staat Israel aufrief und die islamistische Terrororganisation Hamas verherrlichte – im öffentlichen Raum mitten in Köln. Das Verfahren wurde in kürzester Zeit mit der Begründung eingestellt, dass Ermittlungen „aufgrund des aus dem gesamten Bundesgebiet zusammen gekommenen Teilnehmerkreises jedenfalls mit verhältnismäßigem Aufwand nicht möglich“ seien. An diesem Beispiel zeigt sich, dass Vorfällen wie dem geschilderten häufig nicht die nötige Relevanz eingeräumt wird, wobei hier auch die begrenzten Ressourcen bei den Strafverfolgungsbehörden eine Rolle spielen. Eine spezielle Ansprechperson in den Generalstaatsanwaltschaften könnte nicht nur in solchen Fällen korrigierend wirken, sondern auch Fortbildungen im Bereich Antisemitismus auf den Weg bringen. Das Erstellen von Leitfäden für Polizeibeamte, Staatsanwälte und Richter könnte diesen bei der Identifikation von Antisemitismus in ihrem (Arbeits-)Alltag dienen. Um ein einheitliches Verständnis von Antisemitismus zu fördern, sollten Justiz- und Polizeibehörden die von der Bundesregierung und vielen anderen Staaten der Welt unterstütze „IHRA-Arbeitsdefinition Antisemitismus“ übernehmen. Bezüglich der transparenten und erkenntnisfördernden Erfassung antisemitischer Straftaten ist eine Reform der PMK-Statistik zweifellos vonnöten, indem die Zuordnung von antisemitischen Straftaten zu verschiedenen Phänomenbereichen präzisiert wird. Dazu gehört auch, dass Straftaten bei mangelnder Informationslage bzgl. des politischen Hintergrunds der Tat nicht automatisch dem Phänomenbereich „Rechts“ zuzuordnen sind.

Die im Antrag konkret ausgewiesene Maßnahme eines Hamas-Verbots wird von den Autoren dieser Stellungnahme grundsätzlich begrüßt und als angebracht erachtet. Da die Entscheidung über die Durchsetzung eines solchen Verbots dem Bund unterliegt, wäre es zu begrüßen, wenn das Land NRW ein entsprechendes Verbot anregen würde. Den Aufruf zum Hass gegen Teile der Bevölkerung als Einbürgerungshindernis festzusetzen, halten die Autoren hingegen für das falsche Instrument: Antisemitische Haltungen sind gesamtgesellschaftlich virulent. Für eine erfolgreiche Bekämpfung von Antisemitismus als gesamtgesellschaftlichem Problem sind alle gesellschaftlichen Sub-/Systeme gefragt. Antisemitismus ist im Rahmen der zur Verfügung stehenden Mittel der politischen Bildung sowie von Aufklärung, Prävention, Intervention und natürlich auch Repression zu begegnen. Antisemitismus muss insofern juristisch und polizeilich – unter Ausschöpfung vorhandener Möglichkeiten – konsequent(er) verfolgt werden und bei der Strafzumessung für alle Täter*innen eine Rolle spielen sowie als strafschärfendes Tatmerkmal erkannt werden – für alle: unabhängig von Einbürgerung bzw. Ausweisung.

Dr. Stefan Hößl & Daniel Vymyslicky

Fachstelle [m²] miteinander mittendrin. Für Demokratie – Gegen Antisemitismus und Rassismus

Köln, 22.11.2021

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Die Stellungnahme unserer Kolleg*innen von „SABRA – Servicestelle für Antidiskriminierungsarbeit Beratung bei Rassismus und Antisemitismus“ aus Düsseldorf findet sich hier.

Alle weiteren Stellungnahmen finden sich hier.