Anlässlich der Ereignisse im Nahen Osten kam es vielerorts in Deutschland zu antisemitischen Ereignissen. Auf dem Heumarkt in Köln fand am Samstag, dem 15.05.2021, eine pro-palästinensische Demonstration statt, in deren Rahmen etliche antisemitische Vorfälle dokumentiert wurden.

Der vollständige Bericht ist auch als PDF verfügbar: Monitoring Bericht ´Nakba´-Demonstration 15.05.2021

Monitoring-Bericht der Fachstelle [m²] miteinander mittendrin. Für Demokratie – Gegen Antisemitismus und Rassismus bei der Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus (ibs) im NS-Dokumentationszentrum Köln.

1. Antisemitische Erscheinungsformen und deren wissenschaftliche Einordnung

Im Folgenden werden auf der Demonstration getätigte Äußerungen, die von der Meldestelle erfasst und als antisemitisch gewertet wurden, beispielhaft vorgestellt und wissenschaftlich eingeordnet. Maßgeblich für die Einordnung und Bewertung der Vorfälle ist die IHRA-Definition sowie der sogenannte „3D-Test“ (Dämonisierung, Doppelte Standards und Delegitimierung). Ein Großteil der erfassten antisemitischen Aussagen lässt sich (mindestens) einem der drei Ds zuordnen.

Demonstration mit Schild “Stoppt den Genozid!”.

©ibs; “Stoppt den Genozid!”.

Auf vielen Plakaten und Schildern wurde der Staat Israel massiv dämonisiert: So wurde mehrfach behauptet, Israel betreibe einen systematischen Völkermord an Palästinenser*innen (z.B. ein Plakat mit der Aufschrift: „Das ist keine [israelische] Notwehr, das ist Genozid“). Dieser vermeintliche Völkermord müsse endlich gestoppt werden („Schluss mit der ethnischen Säuberung“) und die israelischen Täter*innen zur Verantwortung gezogen werden („Völkermörder zur Rechenschaft ziehen”).

Eng mit der Dämonisierung Israels verwoben sind jene Argumentationsmuster, die den Staat Israel zu delegitimieren versuchen, indem er als im Kern undemokratisch und rassistisch dargestellt wird: Von dieser Absicht zeugten auf der Kölner Demonstration insbesondere die unzähligen Plakate und Schilder, auf denen Israel als Unrechts- bzw. Apartheidsstaat bezeichnet wurde („Das ist kein „Konflikt” – Das ist Apartheid!”, „Nein zur Apartheid!“ usw.).

Schild mit Aufschrift "This is not a conflict - this is Apartheid!

© ibs; “Das ist kein ´Konflikt´ – Das ist Apartheid!“

Dass die südafrikanische Apartheid durch den unhaltbaren Vergleich faktisch verharmlost wird, wird dabei ignoriert. Der „Apartheidsvorwurf“ gegen Israel ist u.a. deshalb so verbreitet, weil es sich bei dem Apartheidregime des früheren Südafrika zweifelsohne um einen Unrechtsstaat handelte und der Vergleich weitere Anknüpfungspunkte bietet, um den einzigen jüdischen Staat der Welt weiter zu dämonisieren und zu delegitimieren. So ist die mit dem Apartheitsvorwurf in Verbindung stehende Behauptung, Israel sei ein rassistisches sowie koloniales Unterfangen, ebenfalls weit verbreitet („Israel ist einzigartig in der illegalen Landbesetzung. Gegen das rassistische Israel“).

Weit weniger offensichtlich als die eben genannten dämonisierenden und delegitimierenden Aussagen ist die Anwendung doppelter Standards bei der Bewertung Israels im Vergleich zu den arabischen Nachbarstaaten, wie sie auf der Demonstration in zahlreichen Äußerungen zum Ausdruck kam. Konkret geht es darum, dass von Israel ein Verhalten erwartet wird, das von keinem anderen Staat gefordert wird. So wurden auf der Kölner Demo auch begeistert Flaggen von arabischen Staaten geschwenkt, die faktisch über Jahrzehnte hinweg viele Tausende palästinensische Flüchtlinge in provisorischen Auffanglagern unterbrachten bzw. unterbringen, ohne ihnen eine tatsächliche gesellschaftliche Integration zu ermöglichen. Israel, als einziger jüdischer Staat weltweit, wird hingegen genau dies vorgeworfen: Hier dienen die Problematiken bei der gesellschaftlichen Teilhabe der Palästinenser*innen innerhalb Israels als Rechtfertigung, um letztlich das Existenzrecht des israelischen Staates in Frage zu stellen. Auch auf dem unten abgebildeten Foto wird eine angebliche Solidarität vieler arabischer Staaten mit Palästina behauptet, die so niemals bestand und lediglich der Abgrenzung zu Israel dient.

Schild mit Flaggen arabischer Staaten und der Aufschrift "All we stand for Palestine"

© ibs; “Wir alle stehen zu Palästina“

Während die Verantwortlichkeiten auf Seiten der arabischen Nachbarstaaten gänzlich ausgeblendet werden, wird Israel als das „Böse“ schlechthin dargestellt. Historisch komplexe Ereignisse und Konflikte werden dermaßen vereinfacht, dass sie einseitige Schuldzuweisungen erlauben. So ist auf einem Plakat zu lesen: „Wer vertreibt Palästinenser? Israel. Wer hält ein Apartheids-Regime aufrecht? Israel. Wer tötet ein Völk, dass kein Militär hat? Israel. Wer hat den neuen Konflikt angefangen? Israel. […].“ Auf einem englischsprachigen Schild wird der israelisch-palästinensische Konflikt sogar explizit als „simpel“ dargestellt: „What is happening in Palestine is not complicated, it´s settler colonialism & ethnic cleansing”.

Plakat, auf dem Israel für alles böse verantwortlich gemacht wird. Aussage: "Wer vertreibt Palästinenser? Israel. Wer hält ein Apartheids-Regime aufrecht? Israel, usw.

© ibs: “Wer vertreibt Palästinenser? ISRAEL! Wer …“

Eine solche Komplexitätsreduktion führt bei den Meinungsträgern zwangsweise zu der Annahme, dass die einzig denkbare Möglichkeit für eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts in der totalen Zerstörung des jüdischen Staates liege. Ein Demonstrationsteilnehmer in Köln stellte ebendiese Einstellung über ein Plakat zur Schau, auf dem zu lesen war „Es wird keine zwei Staaten geben! Entweder Palästina oder Palästina! Free Palestine“.

Dass die „Befreiung“ Palästinas gleichzeitig mit der Vernichtung Israels gleichgesetzt wird, wird auch über die auf der Demonstration omnipräsente Darstellung einer Landkarte kommuniziert, auf der Israel, der Gaza-Streifen sowie das Westjordanland als vereinigtes Land unter palästinensischer Flagge zu sehen sind. Auch der auf vielen Demonstrationen und ebenso auf der Kölner Veranstaltung verbreitete Slogan „From the river to the sea Palestine will be free”, also „Vom Fluss [Jordan] bis zum Meer [Mittelmeer] wird Palästina frei sein“, evoziert die Vorstellung einer Landkarte, auf der der jüdische Staat getilgt ist.
In Anbetracht der vielen Aussagen, in denen mehr oder weniger explizit die Vernichtung Israels herbeigesehnt wird, verwundert es nicht, dass auch zahlreiche positive Bezüge zu verschiedenen Formen des „palästinensischen Kampfes“ gegen Israel hergestellt wurden. Als besonders schwerwiegend können dabei jene Aussagen betrachtet werden, die so weit gehen, das Vorgehen palästinensischer Terror-Organisationen zu begrüßen bzw. zu verharmlosen. Auf einem Plakat stand etwa: „You take my water, burn my olive trees, destroy my house, take my job, imprison my father, kill my mother, bomb my country, starve us all, humiliate us all, BUT I am to blame: I shot a rocket back.” Auf einem anderen Plakat wurde durch einen unhaltbaren Vergleich der Terror der radikal-islamistischen Hamas verharmlost: “Blaming Hamas for firing rockets is like blaming a women for punching her rapist”. Dass sich der Terror der Hamas nicht nur gegen israelische Zivilisten und Militärs richtet, sondern in Gaza und Westjordanland auch gegen Teile der palästinensischen Bevölkerung (z.B. politische Gegner*innen oder LGBTQ+), wird dabei vollkommen ausgeblendet.

Im weiteren Verlauf der Demonstration stimmte ein Teilnehmer einen Sprechchor auf Arabisch an, der von einer größeren Gruppe von Anwesenden nachgesprochen wurde. Hier wurde die Terrororganisation nicht nur verharmlost, sondern sogar explizit verherrlicht:

„Du musst deine Patrone direkt auf das Ziel richten. Allah, bitte beende das Problem für uns alle. Lass deine Patrone direkt das Ziel treffen. Ihr, die ihr hier steht, sagt es Allah mit euren lauten Stimmen: Palästina hat keine Angst vor dem Tod! [x3] Richte dein Schwert gegen das Schwert! Wir sind die Männer von Mohammed Deif! [x2] Schlagt Sie [x2], Schlagt, schlagt, Tel-Aviv mit der Rakete Katyusha. Palästina, schlag Israel.“

Der im Text erwähnte „Mohammed Deif“ ist Staabschef der Kassam-Brigaden, dem militärischen Arm der Hamas. Die Aussage „Wir sind die Männer von Mohammed Deif“ muss entsprechend als Bekenntnis der ideologischen Zugehörigkeit zur (in ganz Europa verbotenen) Terrororganisation Hamas gewertet werden. Der Bezug zur „Rakete Katyusha“ verdeutlicht, dass hier im Rahmen der Demonstration – also im öffentlichen Raum mitten in Köln – explizit zum Terror gegen den Staat Israel aufgerufen wurde.

Selbstverständlich wäre es falsch, allen Demonstrationsteilnehmer*innen Sympathien gegenüber der Hamas zu unterstellen. Auch wurde der Sprechchor von Ordnern des Veranstaltungsteams recht zügig unterbunden. Dennoch zeigt sich an dem Beispiel, dass auf der Kölner Demonstration durchaus auch eine radikal-islamistische Gesinnung vertreten war.
Mehr noch als derartige Bezüge zum gewaltsamen Kampf gegen Israel fanden sich auf der Demonstration zahlreiche Verweise auf die Boykott-Bewegung BDS (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen), eine transnationale politische Kampagne, die Israel nicht über Gewaltanwendung, sondern internationaler Isolation bekämpfen möchte. Die BDS-Bewegung gilt in Deutschland in weiten Teilen als antisemitisch, eine Bewertung, die seit Mai 2019 auch von der Bundesregierung geteilt wird. Auf der Kölner Demonstration trugen zahlreiche Teilnehmer*innen Kleidungsstücke mit der „BDS“-Aufschrift, ein Plakat forderte: „Israel [ist] am Bombardieren, bitte nicht finanzieren“. Boykott-Aufrufe wurden dabei oft mit weiteren problematischen Äußerungen verknüpft („Boykottiert den Apartheidsstaat Israel“).

Demonstrationsschild mit der Aufforderung: Boycott Apartheid Israel

© ibs: “Boycott Apartheid Israel”

Dass manifester Judenhass unter BDS-Unterstützerer*innen weit verbreitet ist, zeigte sich in Köln zuletzt an einem antisemitischen Vorfall, der erst wenige Wochen vor der Demonstration am Heumarkt bei der [m²]-Meldestelle eingegangen war: Ende April beschmierten Unbekannte in der Kölner Innenstadt drei Stolpersteine mit den Buchstaben „BDS“. Die Stolpersteine erinnern an drei im Nationalsozialismus ermordete Kölner Jüdinnen und Juden. Allein schon die Identifikation deutscher Jüdinnen und Juden mit dem Staat Israel ist ein klarer Fall von Antisemitismus. Dass es sich hier auch noch um Gedenksteine an in der Shoah ermordete Jüdinnen und Juden handelte, die also die Staatsgründung des modernen Israels nicht einmal miterleben konnten, führt die Absurdität des Judenhasses vor Augen.

Drei geschändete Stolpersteine mit den Buchstaben BDS

© ibs: Beschmierte Stolpersteine in der Ehrenstr. 19

Es überrascht kaum, dass auch im Rahmen der Kölner „Nakba“-Demonstration zahlreiche instrumentalisierende Bezüge zur Shoah und zur NS-Zeit hergestellt wurden, die dem sogenannten „sekundären Antisemitismus“ zuzuordnen sind. Von Shoah-verharmlosenden Vergleichen („End the Palestinian Holocaust“, „Stoppt die Deportierung von Palästinensern!“), über die Gleichsetzung der israelischen Politik mit der der Nationalsozialisten („Well done Israel, Hitler would be proud!”), bis hin zur verklausulierten Behauptung, Israel dürfe in Deutschland aufgrund der Shoah nicht kritisiert werden („Wacht auf. Eure Moral ist ein Witz. Holocaust-Komplex“).
Auch Bezüge zu traditionellem bzw. verschwörungsideologischem Antisemitismus konnten im Kontext der Demonstration auf dem Kölner Heumarkt festgestellt werden. Besonders gebräuchlich war etwa die an die mittelalterliche Ritualmordlegende anknüpfende Parole „Kindermörder Israel“. Gleich mehrere Schilder wurden gezeigt mit der Aufschrift “Israel is killing children”. Jahrhundertelang hielt sich in Europa die antisemitische Vorstellung, Juden würden das Blut junger Christen für die Herstellung von traditionellem Matze-Brot verwenden. Dieser Verschwörungsglaube passte sich infolge der Staatsgründung Israels an die neue Realität an: nicht christliche, sondern arabische Kinder würden nun ermordet; nicht mehr gegen „die Juden“, sondern gegen Israel richtet sich nunmehr der Vorwurf. Die Umwegkommunikation über Israel, dem „Juden unter den Staaten“ (Léon Poliakov), dient den Meinungsträger*innen nicht zuletzt, um sich vom Antisemitismus-Vorwurf freizusprechen. Auf der Demonstration wurde auch ein Schild präsentiert, auf dem das „Kindermörder“-Narrativ dann doch explizit mit dem Aspekt des jüdischen in Verbindung gebracht wurde („Stop the jewish child killers in Palestine!”).

Schild mit Aufschift: "Stoppt die jüdischen Kindermörder in Palästina!"

© ibs; Plakat “Stoppt die jüdischen Kindermörder in Palästina!”

Neben „Israel“ oder „den Israelis“ wird häufig auch der Begriff „Zionisten“ als Chiffre verwendet, um verschwörungsideologischen Antisemitismus straffrei im öffentlichen Raum zu äußern: Eine junge Demonstrationsteilnehmerin etwa präsentierte ein Plakat mit der Aufschrift „Zionisten lügen, lasst euch nicht betrügen“.

Auf mehreren Plakaten wurden „die Medien“ der Manipulation beschuldigt („Stop to manipulate the truth about Palestine”). Eines davon bezeichnete die Medien als [israelische] „Propaganda-Werkzeuge“, um direkt in Anschluss die Behauptung aufzustellen, in Gaza seien 550 Kinder getötet worden, während in Israel nur ein einziges Kind getötet worden sei.

Demonstrations-Teilnehmerin hält Schild mit Aufschift "Zionisten lügen lasst euch nicht betrügen"

© ibs: “Zionisten lügen, lasst euch nicht betrügen“.

Auf welchen Zeitraum sich diese Angaben beziehen sollen, wurde nicht angegeben.
Dass klassischer Verschwörungs-Antisemitismus zum Repertoire einiger Anti-Israel-Demonstrant*innen gehörte, kann beispielhaft auch an folgendem Satz festgemacht werden, der von einem Gespräch zwischen zwei jungen Männern stammt, von denen sich einer – für das Monitoring-Team der Meldestelle gut hörbar – folgendermaßen äußerte: „Die Juden haben mehr Geld als alle Muslime zusammen. Wirklich! Eine jüdische Familie hat mehr Geld als alle muslimischen zusammen. Ist echt so!“.

2. Veranstaltende Akteure und Demonstrationsverlauf

Hauptorganisator der Kölner „Nakba“-Demonstration vom 15.05.2021 war die sich politisch links verortende Gruppierung „Palästina spricht in NRW“. Schon in der Vergangenheit war „Palästina spricht in NRW“ immer wieder durch antisemitische Aussagen aufgefallen, die insbesondere dem sogenannten israelbezogenen Antisemitismus zuzuordnen sind. So nutzten Redner von „Palästina spricht in NRW“ am 19.02.2021 ihren Redebeitrag auf einer Mahnwache zum einjährigen Jahrestag nach dem rassistischen Terroranschlag in Hanau, um Israel zu delegitimieren und die „Befreiung der Palästinenser, vom Fluss [Jordan] bis zum Meer [Mittelmeer]“ zu fordern. Ebenfalls an der Kölner „Nakba“-Demonstration beteiligt war die orthodox-marxistische Gruppierung „Young Struggle“, die schon in der Vergangenheit mehrfach behauptet hatte, Israel würde eine „rassistische Vernichtungspolitik“ gegen Palästinenser*innen betreiben. Neben der palästinensischen Gemeinde Köln, riefen weitere Gruppierungen aus dem linken bzw. antirassistischen Spektrum, wie “Migrantifa NRW“ und „Black Lives Matter Köln“ zur Beteiligung an der „Nakba“-Demonstration auf. Insgesamt gelang es dem Bündnis am 15.05.2021 etwa 1.000 Demonstrationsteilnehmer*innen auf dem Kölner Heumarkt zu sammeln. Dieses im Vergleich zu den vergangenen Jahren hohe Mobilisierungspotenzial hängt maßgeblich mit der jüngsten Gewalteskalation im israelisch-palästinensischen Konflikt zusammen.

Nachdem die für 16 Uhr angemeldete Demonstration begann, zeigte sich schnell, dass ein Großteil der Anwesenden nicht gewillt war, den Redebeiträgen der Organisator*innen zuzuhören. Stattdessen bildeten sich zwei größere Gruppen, die Sprechchöre anstimmten und sich faktisch zu improvisierten Parallelveranstaltungen entwickelten. Auch eine von der Bühne angekündigte Schweigeminute wurde nach nur wenigen Sekunden durch „Allahu-Akbar“-Rufe unterbrochen. Zu keinem Zeitpunkt wurden die geltenden Corona-Schutzmaßnahmen eingehalten, trotz wiederholter Aufforderungen durch die Veranstalter*innen. Nach einer Stunde folgte die Anmelderin der Aufforderung der Polizei und erklärte die Demonstration offiziell für beendet. Zwei Demonstranten kletterten auf das Reiterdenkmal und rollten eine große Palästina-Flagge aus. Zwischenzeitlich versuchte ein Demonstrant eine Israel-Flagge anzuzünden, wurde durch das Eingreifen der Polizei jedoch daran gehindert. Bevor es zu einer Festnahme kommen konnte, verschwand der Mann in der Menschenmenge. Die Mehrheit der Demonstranten weigerte sich den Heumarkt zu verlassen, bis die Polizei mit der Räumung des Platzes begann. Es kam zu Rangeleien zwischen Demonstranten und der Polizei; Medienberichten zufolge wurde ein Polizist von einem Demonstranten ins Gesicht geschlagen. Ausschreitungen wie auf der zeitgleichen pro-palästinensischen Kundgebung in Berlin blieben jedoch aus.

Zwei Demonstranten hissen Palästina-Flagge auf dem Reiterdenkmal am Heumarkt

© ibs; Reiterdenkmal am Heumarkt

Nachdem sich die Demonstration endgültig aufgelöst hatte, kam es an verschiedenen Orten der Stadt zu vereinzelten Vorfällen. So wurde die Meldestelle [m²] beispielsweise darüber informiert, dass am Ottoplatz zwei männliche Demonstrationsteilnehmer den Hitlergruß gezeigt haben sollen. Außerdem wurden einem Polizeibericht zufolge Sicherheitskräfte auf der Deutzer Brücke aus einem fahrenden Auto heraus „massiv angefeindet“.

3. Finale Einschätzung

Die im ersten Teil des Monitoring-Berichts geschilderten antisemitischen Vorfälle im Kontext der Kölner „Nakba“-Demonstration dienen in erster Linie dem Zweck, typische Erzähl- und Argumentationsmuster insbesondere des israelbezogenen Antisemitismus offenzulegen und zu problematisieren. Die hier getroffene Auswahl ermöglicht also kein Pauschalurteil gegenüber der Gesamtheit der Demonstrationsteilnehmer*innen. Die persönlichen Gründe des Einzelnen für die Teilnahme an der Demonstration können vielfältig sein und stehen nicht zwingend in Zusammenhang mit Antisemitismus. Einige Demonstrationsteilnehmer*innen zeigten Schilder und Plakate, auf denen sie sich formal von Antisemitismus abgrenzten („Wir sind keine Judenhasser. Free Palestine!“). Zum Teil wurden hier jedoch erneut problematische Aussagen reproduziert („Wir sind nicht gegen die jüdische Religion, sondern gegen den israelischen Zionismus. Free Palestine“).

Gleiches gilt für die Organisatoren der Demonstration: Diese hatten sich wenige Tage vor der Kölner „Nakba“-Demonstration formal von Antisemitismus distanziert – vermutlich aufgrund der vielen antisemitischen Vorfälle im Kontext von pro-palästinensischer Demonstrationen in anderen Städten und der damit einhergegangenen öffentlichen Aufmerksamkeit im Vorfeld. Die formelle Abgrenzung ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die Demonstration (vorhersehbarerweise) als Plattform für die Verbreitung antisemitischer Äußerungen im öffentlichen Raum fungierte. Eine selbstkritische Auseinandersetzung mit antisemitischen Erscheinungsformen, insbesondere dem israelbezogenen Antisemitismus, fand von Seiten der Veranstalter*innen auch nach der Demonstration nicht statt: Weder die Gruppierungen aus dem linken bzw. antirassistischen Spektrum, noch die Palästinensische Gemeinde Köln haben sich bislang [Stand: 19.05.2021] von den vielen antisemitischen Vorfällen auf der Kölner „Nakba“-Demonstration öffentlich distanziert.

Dass Antisemitismus und blanker Israelhass im Mittelpunkt der Kölner „Nakba“-Demonstration standen, zeigt sich schon allein daran, dass unter den Demonstrationsteilnehmer*innen Gruppen und Milieus vertreten waren, die sonst rein gar nichts miteinander zu tun haben bzw. sich ideologisch sogar diametral gegenüberstehen (z.B. Kurdische YPG-Anhänger und türkische Ultranationalisten). Wie so oft fungierte auch auf dieser Demonstration der Hass auf Israel als einendes Element.

Bei der Analyse von Veranstaltungen, auf denen Antisemitismus virulent war, wird viel zu oft nicht ausreichend berücksichtig, welche Auswirkungen derartige Demonstrationen auf das Sicherheitsgefühl von Jüdinnen und Juden in Deutschland haben. Davon zeugt allein schon die Tatsache, dass die Synagogen-Gemeinde Köln im Vorfeld ihren Gemeindemitgliedern dazu geraten hatte, den Heumarkt sowie die nähere Umgebung am Tag der Demonstration zu meiden.

20.05.2021
Fachstelle [m²]

Im Rahmen der Monitoring-Berichte widmet sich die Meldestelle anlassbezogen ausgewählten Veranstaltungen in Köln, um bestimmte Erscheinungsformen von Antisemitismus im Detail zu analysieren.

Antisemitismus lässt sich jedoch nicht auf eine Trägergruppe reduzieren, es handelt sich um ein gesamt-gesellschaftliches Problem und muss als solches bekämpft werden!

Jede Form von Antisemitismus kann der Fachstelle [m²] unter www.antisemitismus-melden.koeln
gemeldet werden. Unterstützen Sie uns dabei, Antisemitismus sichtbar zu machen und zu bekämpfen!